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  • Дитрих. Записка о душевной болезни К. Н. Батюшкова.

    Дитрих А. Записка о душевной болезни К. Н. Батюшкова // Батюшков К. Н. Сочинения: В 3 т. — СПб.: П. Н. Батюшков, 1885—1887.

    1887


    ѣзни 1).

    Über die Krankheit des Russisch-Kaiserlichen Hofrathes und Ritters Herrn Konstantin Batuschkoff.

    äusseren Formen, unter welchen sie sich ausspricht, bei verschiedenen äusseren Verhältnissen auf die verschiedenste Weise wechselt, obschon sie sich in ihrem Grundwesen, so lange ich sie zu beobachten Gelegenheit hatte, das heisst seit mehr als Jahresfrist, unverändert gleich blieb, da ferner eine genaue Kenntnis der Grundkrankheit nur durch genaue Kenntnis der ganzen Symptomenreihe möglich wird, so scheint es mir nicht ausreichend, gegenwärtige Darstellung, wenn sie deutlich und befriedigend sein soll, blos auf Angabe der allgemeinsten Krankheitserscheinungen zu beschränken, sondern ich halte es für durchaus nothwendig, den Einfluss, welchen der Wechsel der Umgebungen und jedes Einschreiten in den gewöhnlichen Kreis seines Lebens auf das Gemüth des Leidenden ausübt, genauer zu bezeichnen. In einer solchen Entwickelung werden die Heilversuche, die man etwa in Vorschlag bringen könnte, von selbst ihre Würdigung finden und die einzig anwendbare Behandlung wird sich daraus von selbst ergeben. Man darf übrigens nicht vergessen, dass hier nicht mehr die Rede ist von einer erst jüngst entstandenen Krankheit, von einer gewöhnlichen Form des Wahnsinns, welche jedes Irrenhaus Beispiele in Menge bietet; es handelt sich hier um ein verjährtes, tief eingewurzeltes, höchst verwickeltes, durch die hervorstehenden Eigenthümlichkeiten des Kranken selbst vielfach modificirtes Uebel, es betrifft ferner einen Mann, der zu den Gebildesten seines Vaterlandes gehörte und der sich auch unter diesen noch durch seine geistigen Anlagen und schriftstellerischen Leistungen auszeichnete, in welchem also um so mehr zu retten und wiedprherzustellen ist, je mehr in ihm unterdrückt worden und zu Grunde gehen musste, ehe die Krankheit den Sieg gewinnen nnd den Grad von Heftigkeit erreichen konnte, welchen sie noch gegenwärtig behauptet. Da ich den Kranken auf einer Reise von mehr als 300 Meilen ununterbrochen zur Seite gewesen bin und auf derselben hinlänglich Gelegenheit gehabt habe, ihn in den verschiedensten Seelenstimmungen zu beobachten, welche tiefe Blicke in das Wesen seiner Krankheit thun lassen, so sei es mir vergönnt, das Allgemeinste davon in geschichtlicher Folge hier auszuführen.

    .

    äussersten Aufgeregtheit übergeben. Schon seit einigen Tagen hatte er in seiner Stube entsetzlich geschrieen und getobt, dass ich die Abreise gerne noch verschoben hätte, wenn ich mich nicht den Umständen hätte fügen müssen. Absichtlich hatte man es unterlassen, ihn auf die nahe bevorstehende Rückkehr in sein Vaterland vorzubereiten, aus Furcht dass er Mistrauen fassen und sich ihr ernstlich widersetzen möchte. Mit stürmischer Heftigkeit empfing er nun die Nachricht, dass der Wagen reisefertig vor der Thüre stehe. Mit den Worten. „Warum so spät? Vier Jahr bin ich schon hier!“ sprang er hastig auf von seinem Sitz, warf sieh krampfhaft vor dem Christusbilde nieder, das er mit Holzkohle an die Wand seines Zimmer gezeichnet hatte, blieb mit völlig ausgestrecktem Körper bewegungslos einige Zeit liegen, erhob sich dann schnell, bestieg schnell den Wagen und verliess unter lauten Verwünschungen den Sonnenstein, ohne eine Empfindung der Freude zu äussern, obschon ihm nun ein längst gehegter Wunsch erfüllt wurde. Den ersten Tag der Reise verhielt er sich sehr ruhig, er sprach fast gar nicht, war ernst, aber nicht unfreundlich. Er schien indessen wenig mit dem Wechsel der Gegenwart beschäftigt; Mienen und Bewegungen verriethen mehr Gedankenlosigkeit. In Teplitz, wo wir übernachteten, beklagte er sich über Kopfschmerz und mochte keine Nahrung zu sich nehmen, das Frühstück dagegen genoss er den folgenden Morgen gemeinschaftlich mit mir. Als wir ohngefähr eine Stunde von Teplitz entfernt waren, verzog er plötzlich das Gesicht schmerzhaft, wand und drehte sich im Wagen, ächzte und wimmerte. Meine Frage, was ihm fehle, blieb unbeantwortet. Er verlangte aus dem Wagen gelassen zu werden, ging einige Schritte und streckte sich dann auf den Rasen hin. Das Bewusstsein schwand allmählig ganz, schmerzlich warf er sich hin und her, die Hände zitterten, das Blut war in der heftigsten Wallung. Hastig und gewaltsam fasste er mit beiden Händen die Gegend des Herzens, das von einem heftigen Krampfe ergriffen schien. Dabei sprach er russisch und höchst verworren. Bald weinte und jammerte er, bald nahm seine Stimme einen leisen und geheimnisvollen, bald einen heftigen und drohenden Klang an. Bilder und Scenen im buntesten Wechsel schienen bei seiner Seele vorüberzugehen. Alles deutete an, dass ein Anfall von Tobsucht auf dem Wege sei. Ich gab mir deshalb alle Mühe ihn in den Wagen zurückzubringen, um noch vor dem völligen Ausbruche des bevorstehenden Sturmes die nächste Poststation zu erreichen; ich bat, ich drohte — umsonst. Die ausserordentliche Reizbarkeit des Kranken und die Furcht, mir gleich anfangs alle Wege, auf ihn einzuwirken, für die Zukunft abzuschneiden, hielt mich ab, sogleich Gewaltmittel anzuwenden, deren Gebrauch indess bald durch seinen stufenweis zur Heftigkeit sich steigernden extatischen Zustand nothwendig gemacht wurde. Bald ging er langsam, bald blieb er stehen, bald lief er, als wolle er entfliehen. Dabei schrie er laut, redete die Vorübergehenden an, nannte sich bald einen Heiligen, bald einen Bruder des Kaisers Franz und machte wiederholte Versuche, sich mit der ganzen Länge des Körpers auf den feuchten Boden auszustrecken. Es wurde nun die Zwangsjacke gebracht; anfangs sträubte er sich gegen den Gebrauch derselben und schlug mich und meine beiden Begleiter mit geballter Faust in’s Gesicht. Sobald er aber fühlte, dass wir ihm an Kraft überlegen seien, ergab er sich und liess sich geduldig in den Wagen heben, in welchem er unaufhörlich sprach und schrie, indem er sich für einen Märtyrer ausgab, den man gefesselt habe. Er rief den Vorübergehenden zu: „Déliez mes bras! mes souffrances sont terribles!“ Er redete die Heiligen an und sagte, sie seien fromm gewesen, wie er, aber keiner habe gelitten wie er. So kamen wir unter dem Zulauf einer neugierigen Menge nach Bilin, wo der Kranke in den Gasthof geführt wurde. Auch hier tobte er eine Zeit lang entsetzlich, stampfte mit dem Fusse, sprach schreiend einzelne Worte aus, die er immer wiederholte, bewegte die Zunge murmelnd und plärrend im Munde hin und her und wollte beständig niederknieen und betend den Boden mit der Stirne berühren.

    ’s Kanapee, wo ihm unterdessen ein bequemes Lager bereitet worden war, und schlummerte allmälig ein. Nach einem mehrstündigen oft unterbrochenen Schlafe erwachte er in einem gelinden Schweisse ächzend und seufzend und klagte über Schmerzen in allen Gliedern. Er war ruhig, aber sehr erschöpft, und sein Gang so unsicher, dass er geführt werden musste. Die Zwangsjacke wurde ihm wieder ausgezogen und die Reise weiter fortgesetzt. Die Krankheit hatte nun äusserlich eine durchaus religiöse Wendung genommen. Bei jedem Heiligenbilde, bei jedem Kreuze, das er am Wege sah, wollte er den Wagen verlassen und betend niederfallen. Auch im Wagen warf er sich beständig auf die Kniee und suchte den Kopf tief unter das Schurzleder zu pressen. Des Bekreuzigens und Segnens war kein Ende. Keinen Bissen genoss er, über den er nicht das Zeichen des Kreuzes gemacht hatte. Eine Zeitlang spielte er die Rolle eines büssenden Sünders und mehrmals bat er mich, ihm zur Ehre der Mutter Gottes einen Zahn auszureissen. Personen, welche er nie gesehen hatte, bat er um Verzeihung, wenn er sie etwa beleidigt habe. Seine Gebete bestanden nur aus einzelnen unzusammenhängenden Worten, die er schnell wiederholte und ohne allen Ausdruck wahrer innerer Empfindung aussprach, z. B. „Halleluja! Non sum dignus! Kyrie eleison! Ave Maria! Христосъ воскресъ! Іисусъ Христосъ, Богъ!“ Mitten in der Nacht stand er von seinem Lager auf, schritt tobend und mit den Füssen stampfend im Zimmer auf und ab und brüllte diese Worte hervor: und Gebet bedeutete dies Geschrei, das sich nur selten durch begütigende Zurede beschwichtigen liess und sich gewöhnlich in einer Nacht mehrmals wiederholte. Bisweilen befand er sich im Zustande vollkommener Verzückung, besonders in den Morgenstunden. Er deklamirte dann lebhaft mit den Händen zum Wagen hinaus, machte dazu die wunderlichsten Gebärden und schien Gestalten zu sehen, deren Anblick ihn bezauberte. Er warf ihnen Küsse zu, streckte die Arme nach ihnen aus und redete sie in russischen, italienischen oder französischen Reimversen an und schleuderte ihnen Brod und andere Dinge, die er vorher mit dem Zeichen des Kreuzes geweiht hatte, aus dem Wagen. Bisweilen gestikulirte er auch, ohne dazu zu sprechen. Ausserordentlich reich war er in Erfindung immer neuer Unarten, welche fortwährend die strengste Aufmerksamkeit nothwendig machten. Bald schoss er plötzlich im Wagen in die Höhe und legte sich mit halbem Körper hinaus, bald warf er die Füsse blitzschnell auf das Schurzleder, bald legte er knieend den Kopf auf den Sitz, kurz bald unternahm er dies, bald jenes. Doch war er im Allgemeinen ziemlich fügsam und widersetzte sich nicht, wenn seinen vorschnellen Bewegungen gewehrt wurde. Obschon er die liebevollste Behandlung erfuhr und jeden billigen Wunsch sogleich erfüllt sah, so fühlte er doch recht gut, dass man ihn gleichzeitig in einem gewissen Zwange hielt. In Bezug darauf sang er immer die Worte: Son infèlice, à cui non lice! die er auch einige Mal, indem er mich anblickte, abänderte: È un fèlice, à cui tutto lice! So oft er aufgeregt war, zeigte er viel Kraft, aber unmittelbar auf solche Anstrengungen folgte immer äusserste Schwäche, so dass er unterstützt werden musste, wenn er aus dem Wagen stieg und in die Wirthsstube ging. Dann suchte er immer sogleich das Kanapee auf und streckte sich auf demselben aus. Bei jeder Veränderung der angenommenen Lage verriethen seine Gesichtszüge und Bewegungen heftigen Schmerz in den Gesässtheilen. Mit Worten sprach er sich nie darüber aus. Auf dem ersten Theile der Reise trugen überhaupt die Mienen und die ganze Gestalt des Kranken das Gepräge eines von schwerem Leiden Niedergedrückten, so dass er Allen Mitleid einflösste, die ihn sahen. Heitere Stimmungen hatte er sehr selten und immer folgten heftige Stürme darauf. Das Wetter begünstigte anfangs unsere Reise ungemein. Der Weg führte durch die reizenden Landschaften Böhmens und Mährens. Der Anblick des reinen tiefblauen Himmels und des mannigfachsten Wechsels von Thälern und Hügeln im herrlichsten Grün war von sichtbarem Einfluss auf das Gemüth des Kranken und weckte poetische Stimmungen in ihm, welche sich einige Mal auf die überraschendste Weise äusserten. Eines Tages sprach er italienisch mit sich, zum Theil in kurzen Reimversen, zum Theil in Prosa, aber ohne allen Zusammenhang, und sagte unter Anderem mit sanfter ergreifender Stimme und mit dem Ausdruck der glühendsten Sehnsucht in den Mienen, indem er unverwandt den Himmel anblickte: O patria di Dante, patria d’Ariosto, patria del Tasso. O cara patria mia. Son pittore anch’io. Die letzten Worte sprach er mit einem solchen Ausdruck des edelsten Selbstgefühles, dass ich in tiefster Seele erschüttert wurde. Sehnsucht und Lebensüberdruss war der gewöhnliche Charakter solcher Stimmungen; es schien als fühle er, dass hienieden nichts mehr für ihn zu hoffen sei. Einmal sagte er zu mir, als er eine schöne hochbelaubte Linde am Wege sah: „Lassen Sie mich unter diesen Baum in den Schatten“. Ich fragte ihn, was er dort wolle. „Ein wenig schlafen auf der Erde“, gab er mit sanfter Stimme zur Antwort, „ewig schlafen“ fügte er dann mit wehmüthiger Stimme hinzu. Ein ander Mal bat er mich, ihn aus dem Wagen zu lassen, er wolle im Walde spazieren gehen. Wir hatten zur linken Seite ein schönes Birkenwäldchen. Ich bedeutete ihm, dass wir Eile hätten, unsere Reise sei weit und Zögerung könne ihm selbst ja nicht angenehm sein, denn sein Vaterland sei unser Ziel. „Mein Vaterland“! wiederholte er langsam und zeigte mit der Hand gen Himmel. Sein lebendiger Sinn für die Schönheiten der Natur gab sich auch bei anderen Gelegenheiten vielfältig kund. So lagerte er sich gewöhnlich, wahrend etwa auf einem Dorfe die Pferde gewechselt wurden, an einem Orte, von dem aus er einer freien Aussicht genoss; und so kehrte er fast immer mit einer Hand voll Blumen zurück, wenn er einmal den Wagen verlassen und deren am Wege gefunden hatte. Er hatte Stunden, wo er ganz aus dem Kreise endlicher Dinge hinausgetreten zu sein schien; es waren aber nur kurze Unterbrechungen seiner gewöhnlichen Zustände und man könnte sie eigentlich wol nicht hellere Augenblicke nennen, sondern mehr alte Erinnerungen, Wiederholungen und Nachklänge einmal empfundener Gefühle, durch die Aehnlichkeit der äusseren Umgebungen hervorgerufen um durch die Krankheit modificirt. Er sprach italienisch und vergegenwärtigte sich einige schöne Episoden aus Tassos befreitem Jerusalem, über welche er sich selbst mit lauter Stimme unterhielt, gewiss nur darum, weil ihn das reine dunkele Himmelsblau und die reizenden Umgebungen der Gegenwart in die Zeit seines Aufenthaltes in Italien und seine damaligen Beschäftigungen und Genüsse zurückversetzten. Darum sprach er vom heiligen Vater, von der Engelsburg und anderen Dingen, welche der Gegenwart an und für sich ganz fern lagen. Es lässt sich aber auch meines Erachtens aus diesen Stimmungen wieder auf die Stimmungen zurückschliessen, in denen sein geistiges Leben in Italien, wo die Krankheit sich ernstlich zu entwickeln anfing, sich bewegt haben mag. Seinen eigentlichen Zustand wusste er nie mit einiger Klarheit zu beurtheilen, nur so viel schien er zu fühlen, dass der Gang seines Lebens von dem gewöhnlichen, naturgemässen abweiche, darum sagte er auch einmal von seinem Leben: C’est la fable de la fable d’une fable. Zu einer Unterhaltung, zu einem eigentlichen Gespräche konnte man nie mit ihm kommen. Unterbrach man ihn vielleicht, wenn er grade laut mit sich sprach und lebhaft in seiner Bilderwelt beschäftigt war, mit einer Frage, die irgend einen Gegenstand des gemeinen Lebens betraf, so gab er eine kurze und ganz verständige Antwort, wie sie etwa einer giebt, der durch den Zauber musikalischer Harmonien der Aussenwelt entrückt ist und durch einen zudringlichen Frager in seinen Genüssen gestört und belästigt wird. So wenig aber auch die Gedankenflucht und Bilderjagd, die seine Seele in einem beständigen Wirbel erhielt, Klarheit und logischen Zusammenhang gestattete, die Einzelheiten, die er vorbrachte, hatten oft einen recht guten Sinn, und selbst Witzspiele, wie man sie in solchen Zuständen fast gänzlicher Bewusstlosigkeit nicht erwarten sollte, überraschten mich einige Mal. So sagte er von Chateaubriand, den er einen Heiligen nannte und dessen Namen er häufig und zwar mit grosser Verehrung — sonderbarer Weise aber gewöhnlich in Verbindung mit Lord Byron — erwähnte: nicht Chateaubriand sollte er heissen, sonder Chateau-brillant, und dabei blickte er hinaus in den klaren Himmel, als sähe er dieses glänzende Schloss. Mein Benehmen gegen den Kranken war so einfach und ungezwungen, als möglich. Wo sich irgend Gelegenheit darbot, erwies ich ihm Gefälligkeiten, suchte sie aber nie geflissentlich auf und hielt überhaupt in allen meinen Dienstleistungen klüglich Maasum nicht sein ausserordentliches Mistrauen, das ihn überall nur Gegner und Verfolger sehen liess, gegen mich rege zu machen. Obschon ich ihm beim Beginn der Reise als Arzt vorgestellt worden war und obschon er öfterer den entschie, densten Widerwillen gegen Alles, was Arzt heisst, ausgesprochen hatte, gelang es mir dennoch dadurch vollkommen, mir sein ganzes Vertrauen zu erwerben. Er versicherte mich mit klaren Worten seiner Liebe und es verging fast kein Tag, wo er mich nicht umarmt und auf Hand und Mund geküsst hätte. Er war höflich und gefällig gegen mich, ass und trank mit mir und fügte sich fast immer ohne Widerspruch in meinen Willen. Ebenso wenig hegte er gegen meine beiden Begleiter Groll. Als wir in Lemberg zum zweiten Male durch sein entsetzliches Toben mitten in der Nacht genöthigt wurden, ihm die Zwangsjacke anzulegen, liess er nicht ab uns mit dem Ellenbogen einzusegnen, da er die Hände nicht mehr frei hatte. Demohngeachtet war ich im Wagen nie vor Schlägen, Stössen und anderen kleinen Mishandlungen gesichert, denn er war, oft so in sich versunken, dass er durchaus nicht wusste, was er that. Einmal fragte ich ihn, als er mich mit der Faust vor die Stirne geschlagen hatte, mit sanfter verweisender Stimme, warum er dies gethan habe. Er schwieg; ich wiederholte die Frage zum zweiten Male vergebens und bot ihm darauf die Hand zur Versöhnung: er bekreuzigte sich schnell und reichte mir sogleich die seine. Ohne Zweifel wusste er wol selbst nicht mehr Rechenschaft zu geben, als ihn meine Frage seinem Traumleben entriss.

    ätte indess die Natur seiner Krankheit ganz und gar verkennen müssen, wenn ich hätte glauben wollen, dass diese milde Gesinnung gegen seine Reisegefährten lange Bestand haben würde. Der Uebergang aber in den heftigsten Hass erfolgte noch früher und schneller, als ich erwartet hatte. Wir waren nun auf russischem Boden, die heiteren Tage hatten sich in trübe regnerische umgewandelt und nirgends fand das Auge einen Punkt, auf dem es mit Wohlgefallen hätte verweilen mögen. Der Kranke hatte allmälig seine vollen Kräfte wieder erlangt und näherte sich stufenweise seinem alten Zustand. Die Nächte verhielt er sich ruhig, das beständige Beten liess etwas nach und der alte, mir schon bekannte unbeugsame Eigensinn fing an, sich von neuem in seiner ganzen Stärke geltend zu machen. So wie er vorher ein Gegenstand des Mitleids für Alle gewesen war, die ihn sahen, so wurde er nun ein Gegenstand der Furcht und des Abscheus für Alle. Ohne dass irgend etwas vorausgegangen war, das ihm den mindesten Anlass hätte geben können, seine Gesinnung gegen mich zu ändern, sah er mich plötzlich einmal im Wagen mit der Miene der heftigsten Wuth und wildblitzenden Augen an und spie mir, ohne ein Wort dazu zu sagen, in’s Gesicht. Im nächsten Wirthshause (ohngefähr noch 20 Werst vor Kiew), verliess er plötzlich lachend den Wagen mit den Worten: Mi fate ridere! ging mit starken Schritten auf und nieder, verfluchte mich und meine beiden Begleiter, nannte uns Teufel und Leichen und alle seine Handlungen begleitete ein solches Ungestüm, dass ich mich entschliessen musste, ihm Hände und Füsse fesseln zu lassen. Er vertheidigte sich hartnäckig, schlug um sich, zertrümmerte die Morgenlaterne, schimpfte, spuckte aus und den umstehenden Neugierigen in’s Gesicht und ergab sich erst dann, als seine Kräfte erschöpft waren Dabei sprach er sehr viel, einige Mal sogar in russischen Reimversen. Es war dunkel geworden, als wir weiter fuhren, er glaubte alle Engel in dichten Chören zu sehen, indem er gen Himmel blickte. Unaufhörlich sprach er mir leise in’s Ohr, unaufhörlich spie er nach meinem Gesicht. Sein Speichel war, wie bei allen solchen Kranken, wenn sie in Aufregung sind, von höchst übeler Beschaffenheit und verursachte dem einen Auge, das ich nicht genug geschützt hatte, einige Tage heftige Schmerzen, obschon es nur leicht davon berührt worden war. Erst nachdem ich dem Bedienten den Auftrag gegeben hatte, ihm ein Tuch über den Kopf zu binden, gab er das Versprechen, mich in Ruhe zu lassen, und er hielt Wort.

    äusserte er nie wieder ein Gefühl der Liebe und Theilnahme gegen irgend Jemanden; nur Verwünschungen, Drohungen und Worte des Hasses kamen aus seinem Munde. Selbst nach den arglos Vorübergehenden und freundlich Grüssenden warf er seinen Speichel. Mit Ungestüm verlangte er unaufhörlich weiter zu reisen; vergebens war alle Gegenrede, vergebens zeigte man ihm die schadhaft gewordenen Stellen und die Nothwendigkeit der Verbesserungen an unserem sehr gebrechlichen Reisewagen; die einfachsten Gründe und sichtliche Beweise verstand er nicht. Gänzliche Verkennung aller weltlichen Verhältnisse und stete Beschäftigung mit Gott hatte allmälig den Wahn in ihm entstehen lassen, dass er selbst ein göttliches Wesen sei und dass ihm kein Unglück widerfahren könne; ja selbst der Umstand, dass der Wagen einmal auf dem schlüpfrigen Boden abglitschte und — zum Glück ohne Jemanden von der Reisegesellschaft bedeutend zu beschädigen — umfiel, hatte weiter keine Folge, als dass er ängstlich war, so oft sich dieselbe Gefahr widerholte, und dass er nun alle seine Wuth brüllend gegen mich, als die Ursache, wendete, indem mich Gott für meine Vergehungen züchtigen wolle. Einmal sagte er zu mir und dem Wärter in einer etwas milderer Stimmung, es sei unangenehm mit Menschen zu reisen, die keine Christen seien uud nicht zu Gott beteten. Wir hatten als Lutheraner unterlassen die äusseren symbolischen Gebräuche der griechischen Kirche zu beobachten; und hierin lag vielleicht die Ursache seines Mistrauens und seines Hasses gegen uns. Er verwechselte Kultus mit Religion, die Formen mit dem Wesen, ganz nach der Natur seiner schrecklichen Krankheit, in welcher sich das innere, noch rege, moralische und religiöse Gefühl auf solche und ähnliche Weise zu äussern pflegt. Den 4-ten August, also nach Verlauf eines vollen Monats, erreichten wir endlich Moskau, unser mit stündlich steigender Sehnsucht herbeigewünschtes Ziel und brachten den Kranken in die für uns bestimmte, in einem ziemlich einsamen Theile der Stadt gelegene Behausung. In der ersten Zeit unsers Hierseins war er noch ausserordentlich heftig. Unaustilgbar wird mir der erschütternde Eindruck bleiben, den er eines Abends auf mich machte, als er mit gellendem, in weiter Ferne vernehmbaren Gelächter in grässliche Verwünschungen gegen Vater, Mutter und Geschwister ausbrach. Er fühlte einige Mal peinigende Langeweile, wollte sich aber nicht beschäftigen, sondern verlangte beständig, dass angespannt und weiter gefahren werde. Ein bestimmtes Ziel hatte er nicht, wenn er gefragt wurde, wohin er wolle, gab er zur Antwort: „In den Himmel; zu meinem Vater“. Damit meinte er Gott.

    äglich bemerke ich noch, dass er auf der Reise, ganz nach eigener Wahl, das strengste Fasten beobachtet hatte; nur ein einziges Mal genoss er Fleisch und etwa 4 Mal Fisch. Seine gewöhnliche Kost bestand lediglich aus Obst, Brod, Semmel, Zwieback, Thee, Wasser und Wein, und nur im Weintrinken würde er das Maas oft überschritten haben, wenn ihm sein Wille gelassen worden wäre. In Brody enthielt er sich einen Tag aller Nahrung und betete beständig; das heisst, er lag auf den Knieen, verneigte und bekreuzigte sich.

    ärtiger Zustand.

    ätig auf seinen Zustand. Er wurde allmälig ruhiger und gewöhnte sich in seine neue Lage vollkommen ein. Man kann zwar noch nicht sagen, dass Aufwallungen des Zornes bei ihm eine grosse Seltenheit seien, allein sie verlieren sich immer schnell und es vergehen nicht blos Tage, sondern ganze Wochen, wo er wenig spricht und sich durchaus ruhig verhält. Indess, auch das vorsichtigste Einschreiten in den gewöhnlichen engen Kreis, in welchen sich sein überaus einfaches Leben bewegt, ist ihm zuwider und beunruhigt ihn. Seine Ruhe ist im Grunde nur eine Seelenruhe und lediglich Folge der Schonung, mit der man ihn behandelt, und der beständigen äusseren Ruhe, in der er lebt. Er will Niemanden sehen, Niemanden sprechen und verflucht Jeden, der sich ihm naht, die etwa ausgenommen, die er zu seiner Bedienung braucht, aber auch mit diesen hält er nur nothdürftig Ruhe. Mich nennt er schlechthin Beelzebub, Satan oder Lucifer. (Könnte ich ihm doch Letzterer sein in der eigentlichen Bedeutung des Wortes). Nur mit dem Himmel lebt der unglückliche Mann in beständiger Eintracht, und das ist eine für den Menschenfreund tröstliche und erfreuliche Erscheinung, die man fast bei allen Kranken dieser Art beobachtet. Er erklärt sich für einen Sohn Gottes und nennt sich „Konstantin Gott“. Diese stolze Verirrung der eigenen Persönlichkeit, die eine neue Erscheinung an ihm ist, könnte man allerdings für ein Zeichen von bedeutender Verschlimmerung seines geistigen Zustandes halten, sie ist es aber nicht.

    ünglich schon zu den schlimmsten gehört, die es gibt, ist der Uebergang zu den ungeheuersten Verirrungen nur ein kleiner Schritt; mehr als in einer anderen Form des Wahnsinns sind in dieser reinste Wahrheit und grobe Lüge auf’s Engste zusammengepaart, wie dies noch später aus gegenwärtiger Entwickelung hervorgehen wird. Von allen Beziehungen zum Staate, als solchen, hat sich der Kranke abgelöst, er ist von der Welt, insofern sie einen geselligen Verein bildet, ausgeschieden und erkennt keine Art von Verhältnis und Verpflichtung mehr zu ihr. Er gehört einzig der grossen allgemeinen Natur noch an. Darum ist ihm fast Alles verhasst, was an bürgerliche Regel und Ordnung erinnert. Darum fragte er sich einige Mal auf der Reise, indem er mich mit spöttischem Lächeln anblickte und eine Bewegung mit der Hand machte, als zöge er eine Uhr aus der Tasche: „Was ist die Uhr?“ und gab sich selbt die Antwort: „Die Ewigkeit!“ Darum sah er es sogar auf der Reise ungern, wenn die Wagenlaternen angebrannt wurden, der Mond und die Sterne sollten uns den Weg beleuchten. Darum erwies er der Sonne und dem Mond fast göttliche Ehre. Darum behauptete er mit Heiligen und Engeln Umgang zu haben, unter denen er besonders zwei nennt: Eternità und Невинность. Ausser der Welt trifft sein kranker Geist überall nur friedliche und erheiternde Bilder; in ihr nichts als Widersprüche und feindliche Gegensätze, die ihn erbittern.

    öhne, necke, schlagei stosse, elektrisire und dass man ihn absichtlich zum Zeugen der abscheulichsten Unanständigkeiten mache, ja ihn zu den grobsinnlichsten Genüssen auffordere und reize. Meistens sind es seine nächsten Verwandten und seine besten Freunde, die er dieser Vergehungen beschuldigt. Er behauptet, dass sie in der Nacht über ihm an der Decke seines Zimmers sässen und von oben herab feindlich auf ihn einwirkten, und verlangte unter Androhung ewiger Strafen, dass man sie entferne. Nur selten sieht er solche Erscheinungen auch am Tage. Bisweilen spricht er zu seinen vermeintlichen Quälern in der Stube laut, indem er die Worte in die Ecke derselben hinspricht, wo er sie gegenwärtig glaubt. Er behandelt die Schändlichkeiten, die sie sich, wie er sagt, gegen ihn erlauben, mit der Erbitterung eines schwer gekränkten sittlichen Zartgefühles oder auch mit grossmüthiger Verachtung, und ohne Zweifel würden seine Freunde in der Art und Weise, wie er dieses thut, ganz seinen früheren Charakter wiedererkennen. Bisweilen aber setzt er ihnen auch die ganze Wuth seiner Krankheit entgegen; nicht selten steigert sich, wenn er davon erzählt, seine Heftigkeit so, dass er mehr schreit, als spricht. Die Mienen nehmen dann einen fürchterlichen Ausdruck an, die Augen blitzen, die Blutgefässe im ganzen Gesicht schwellen auf und treten dick hervor und der Speichel fliesst und spritzt in Schaumblasen über die Lippen. So wie er sich nun aber in seiner Liebe und Verehrung gegen die Gottheit unverändert gleich bleibt, so sind seine Ansichten und demnach auch seine Gesinnungen in Bezug auf sein Verhältnis zur sichtbaren Welt einem beständigen Wechsel unterworfen, aber nur einem formellen. Unter der Menge falscher Ideen, in welche er sich vertieft, sind immer einige, die ihn vorzugsweise beherrschen und auf seine geistige Verfassung den wesentlichsten Einfluss haben. Nach Verlauf einer längeren oder kürzeren Zeit, nach Tagen, nach Wochen oder erst nach Monaten weicht dieser Ideenkreis einem anderen, bisweilen verwandten, bisweilen ganz fremden, bis auch dieser wiederum von einem neuen verdrängt wird. Die Beschaffenheit der irrigen Bilder, in denen sich seine geistige Thätigkeit während dieser Zeit bewegt und aus deren Kreise sie nicht heraustreten kann, bestimmt sich theils nach äusseren Zufälligkeiten, theils nach inneren Gründen, die sich nur selten mit einiger Gewissheit ausmitteln lassen. So hielt er sich auf dem Sonnenstein bald für einen ganz armen, bald für einen sehr reichen und vornehmen Mann, zuletzt erklärte er sich sogar für einen Fürsten Hohenlohe; so wurde er bald von deprimirenden, bald von excitirenden Affecten beherrscht. Und ebenso wird die Idee, dass er ein Gott sei, allmälig ihre Stelle einer andern einräumen. Er ist übrigens viel zu wenig er er selbst und viel zu sehr Spiel seiner Krankheit, als dass er irgend eine Idee in Hinsicht seiner Persönlichkeit nur mit einiger Folgerichtigkeit durchführen könnte. Er nennt sich Gott, betrachtet aber seine ihm verhassten Geschwister immer noch als seine Geschwister, er nennt sich mächtig, spricht aber immer fremde Hülfe gegen seine Quäler an u. s. w. Ueber die meisten Gegenstände, welche ausserhalb des Bereiches seiner krankhaften Vorstellungen liegen, namentlich über seine Lebensbedürfnisse, spricht er gewöhnlich ruhig und fast mit der Besonnenheit eines geistig gesunden. Seine Lebensweise ist höchst einfach. Er trinkt drei Mal Thee, früh, Mittags und Abends, und geniesst dazu täglich 30 Zwiebacke und einige Stücke Brod. Den Genuss anderer Nahrungsmittel, zu welchem er wiederholt aufgefordert worden ist, verweigert er hartnäckig mit der Behauptung, dass ihm Gott so zu leben geboten habe. Wein indess wurde er trinken, wenn er ihn erhielte Den grössten Theil des Tages bringt er einsam in seiner Stube, aut dem Kanapee liegend, zu, gewöhnlich ohne alle andere Beschäftigung, als die, welche ihm seine Einbildungskraft gewährt. Bisweilen verfertigt er Wachsbilder, an denen er besonders in den Abendstunden arbeitet Sie gelingen ihm bisweilen recht gut und sind immer charakteristische Erzeugnisse seiner jedesmaligen geistigen Stimmung Seine jetzigen Wachsarbeiten beziehen sich daher ausschliesslich auf religiöse Gegenstände. Gewöhnlich behalten sie die ursprüngliche Gestalt nicht lange; er ändert an ihnen und zerstört sie nach einiger Zeit ganz, um die Masse zu anderen Bildern zu verwenden. An Bewegung lässt er es nicht fehlen. An heiteren sonnenhellen Tagen pflegt er wenigstens drei Stunden unter freiem Himmel im Hofraum auf und abgehend zuzubringen. Die Reinlichkeit in Bezug auf seinen Körper und seine Wäsche liebt er sehr; dagegen sieht er nur wenig auf Ordnung und Nettigkeit seiner übrigen Bekleidung. Wenn er auf seinem Kanapee ausgestreckt liegt, hat er meistens das Ansehen eines Leidenden; wenn er im Hofe spazieren geht, ist seine Miene gewöhnlich finster und mürrisch. Freundlich ist er nie, höflich selten und niemals bleibt er es lange. Seine Gesichtszüge verrathen immer den Mann von Geist und lassen keinen so schwer Erkrankten in ihm vermuthen, wenn er sich in einer ruhigen Stimmung befindet. Sein Auge ist dann klar und verständig. Die unsinnigsten Aeusserungen kann er oft mit dem Anstande eines geistig gesunden Mannes vortragen. Sein Körper ist schon seit längerer Zeit sehr abgemagert, aber noch überaus gewandt und gelenkig; alles lebt und bewegt sich an ihm bei der geringsten Aufregung. Sein Gang ist leicht und anständig. An Kraft fehlt es ihm nicht; allein auf alle heftigeren Gemühtsstürme folgt, wie schon oben erwähnt, sogleich grosse Abspannung. Sein Gesicht ist fast immer blass, bald mehr, bald weniger, die Nase röthet sich leicht und bleibt bisweilen Tage lang anhaltend roth, wenn der Zustand der Aufregung so lange dauert. In diesem Falle ist auch die Thätigkeit der Speicheldrüsen ausserordentlich vermehrt; er spuckt dann häufig und der Geifer sprützt aus dem Munde, wenn er spricht. Ueber körperliche Beschwerden beklagt er sich fast nie. Bisweilen, aber sehr selten, sagt er: „ich bin nicht gesund“. Ueber die Art seiner Beschwerden erklärt er sich nie näher. Auf dem Sonnenstein litt er fast täglich an Kopfschmerzen nicht selten an Brustschmerz. Das ist nicht mehr der Fall. Das Einzige, worüber er sich in der ersten Zeit unseres Aufenthaltes in Moskau noch häufig beklagte, war ein übler Geruch, eine Erscheinung die man bei hysterischen Frauenzimmern oft wahrnimmt, deren Ursachen er nicht in sich, sondern immer ausser sich sucht, indem er behauptet, seine Gegner verbreiteten in seiner Stube absichtlich Gestank oder verunreinigten seinen Thee, um ihn zu ärgern und zu martern. Sein Appetit ist immer gut; er schläft lange und sehr ruhig; die Exkretions-Verrichtungen gehen ohne Ausnahme so regelmässig von Statten, wie man bei einem Kranken, der sich auf keine Weise zum Gebrauch irgend einer Arzenei bewegen lässt, nur immer wünschen kann.

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    überwiegender oder vielmehr in unumschränkter Herrschaft der Einbildungskraft (imaginatio), durch deren ungezügeltes Spiel alle übrigen Kräfte der Seele gehemmt und unterdrückt werden, so dass der Verstand die Verkehrtheit und Grundlosigkeit der Vorstellungen und Bilder, welche ihm dieselbe in unablässiger Geschäftigkeit und im buntesten Wechsel vorführt, nicht zu erkennen, und dass die Urtheilskraft das Wahre vom Falschen nicht mehr zu unterscheiden vermag. Sein ganzes Leben ist ein Traumleben, ein waches Träumen oder ein träumendes Wachen, wie man es nennen will. Die krankhaften Erzeugnisse seiner Einbildungskraft hält er für Wirklichkeit, sie bestimmen seine Handlungen und Urtheile, sie machen ihn ruhig oder unruhig, je nach ihrer Beschaffenheit, kurz: in ihnen lebt er. Traum und Wachen fliessen bei ihm so in Eins zusammen, dass er selbst die Erscheinungen und Scenen, welche ihm seine rege Einbildungskraft in den nächtlichen Träumen vormalt, für wahre Begebnisse hält; daher kommt es, dass er in den Morgenstunden, wo die Erinnerung derselben noch am lebhaftesten bei ihm nachwirkt, sich am häufigsten im Zustande geistiger Aufregung befindet, der sich oft, wenn er einmal eintritt, bis zur Tobsucht steigert.

    ürlich. Bei einem so durchaus Kranken spricht man nicht zum Menschen, sondern zur Krankheit oder, was hier gleichbedeutend, zur Einbildungskraft, welche sich nie widerlegen, wohl aber leicht zu grösserer Thätigkeit reizen lässt. Es ist indessen gewiss, dass auch hier Wirklichkeit und Wahn oder Selbsttäuschung nicht vollkommen gleiches Gewicht haben. Ausser manchen anderen Thatsachen spricht auch der Umstand dafür, dass wirkliche Beleidigungen (z. B. angewendete Zwangsmittel) einen tieferen Eindruck auf ihn machen, als eingebildete; jene vergisst er fast nie, diese in der Regel leicht. Ebenso unterscheidet er die Personen, welche er um sich wirklich sieht, durch sein ganzes Benehmen recht gut von denen, welche ihm seine kranke Phantasie vorspiegelt, obschon er auch hierbei über alle bürgerliche Verhältnisse gänzlich hinweggeht, alle Bande der Freundschaft und Verwandtschaft auflöst und den Kaiser, den Bedienten, den Bruder, die Schwestern im engen Bunde gegen ihn zu den unwürdigsten Quälereien vereinigt glaubt. Ich brauche nicht erst zu sagen, dass eine so schwere und langwierige Krankheit allmälig alle Seelenkräfte lähmen musste. Der Kranke sagte selbst auf dem Sonnenstein mehrmals: „Ich bin kein Narr, das Gedächtnis hat man mir genommen, aber meine Vernunft habe ich noch“. Allein das Gedächtnis, als diejenige Seelenkraft, die am meisten unter allen an körperliche Bedingungen gebunden ist, scheint, obschon ebenfalls geschwächt, grade noch am regelmässigsten bei ihm seine Verpflichtungen zu erfüllen. Zwar gehorcht es ebenfalls dem Despotismus der Einbildungskraft und tritt aus dem Kreise, der ihm von derselben vorgezeichnet wird, nicht leicht hinaus, aber in diesem Kreise trägt es der Malerin Farben aus längst verwichener Zeit zur Ausschmückung der mannigfachsten und buntesten Wahnbilder geschäftig zusammen. Ihre Schwäche hebt die Freiheit und Selbstständigkeit des Geistes noch nicht auf, darum ward sie vom Kranken eingestanden und darum gestehen sie noch täglich bejahrte Personen ein, bei denen auch alle übrigen Seelenkräfte, ihnen unbewusst, in der traurigsten Abnahme begriffen sind. Wollte man nun dieser Krankheitsform, welche durch die mannigfachsten Symptome zu einem wahren Musterbilde von Seelenstörung auf das Traurigste ausstaffirt wird, eine wissenschaftliche Stelle anweisen, so würde man ihr den Gattungsnamen ücktheit üssen. Anfälle von Manie treten häufig, melancholische Stimmungen bisweilen noch hinzu; aber beide bilden nicht den wahren Charakter der Krankheit, sondern sind nur symptomische Erscheinungen des Grundübels. Die Meinung des Kranken, dass er eine Gottheit sei, ist hier nicht das, was die Schule unter dem Begriff der ätigen Seelenkraft hier nicht die Rede sein kann. Eher könnte man sie im gegenwärtigsn Falle ein Fixiren oder Erstarren der Einbildungskraft nennen.

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    ärtiger Aufsatz nur als Fortsetzung den früher vom Sonnenstein durch Herrn Doctor Pirnitz eingesendeten Berichten anreihen soll und obschon somit die Entwickelung der Krankheitsursachen eigentlich nicht mehr hierher gehört, so glaube ich doch mich keinem überflüssigen Geschäfte zu unterziehen, wenn ich sie an diesem Orte nochmals der Untersuchung unterwerfe, theils weil das, was mir über dieselben mitgetheilt worden, wegen des Mangels an zuverlässigen Nachrichten durchaus ungenügend erscheint, theils auch weil hier in Russland, wie ich höre, sehr verschiedene und fast durchgängig sehr unstatthafte Gerüchte und Vermuthungen über diesen Gegenstand in Umlauf sind.

    öthig zu blossen Vermuthungen meine Zuflucht zu nehmen, um die ursächlichen Bedingungen der Krankheit zu ermitteln; ich will hier nur von dem reden, was der Kranke unmittelbar selbst nachweist. Darum bleibe es hier auch unerörtert, ob die Krankheit vielleicht ächsten Vorfahren in aufsteigender Linie schon an einer ähnlichen Krankheit gelitten oder deutliche Anlagen dazu gezeigt habe. Man sagt dies, und dies wäre allerdings schon ein richtiges Moment an und für sich. Hier aber kommt wenig oder nichts darauf an, denn es lässt sich anderweitig nachweisen, dass sie önnte man auch dafür in den gleichlinigen Mitgliedern der Familie Belege finden, wenn man danach suchen wollte; so wichtig wiederum dieses neue Moment wäre, so suche ich doch lieber die Beweise für meine Behauptung in dem Kranken selbst, und ich finde sie hier. Ist nämlich die Krankheit oder vielmehr die Anlage dazu, wie ich sagte, ücklichen Manne selbst nicht verborgen blieb und dass er die traurige Zukunft, der er entgegen ging, mehr als einmal selbst vorausgesagt hat.

    ücklich organisirter Geist. Die Einbildungskraft war in ihm von jeher die vorwaltende, ihn beherrschende Seelenthätigkeit; er bewies dies im geselligen Leben und er hat die Beweise davon überall in seinen Schriften niedergelegt. Ein tiefes und zartes Gefühl für alles Grosse, Gute und Schöne kam hinzu und gab jener Thätigkeit die poetische Richtung. Man könnte sagen: Batuschkoff war ein poetisches üthGeistässt sich in noch unbeschränkterem Sinne anwenden, was Friedrich Schlegel, von dem ihm in vieler Hinsicht verwandten, obschon übrigens weit überlegenen Torquato Tasso sagt: „Er gehört im Ganzen mehr zu den Dichtern, die nur sich selbst und ihr schönstes Gefühl darstellen, als eine Welt in ihrem Geist klar aufzufassen und sich selbst darin zu verlieren und zu vergessen im Stande sind“. — Solche Naturen erscheinen im Leben gewöhnlich als durchaus poetisch, eben weil sie nichts anderes sind und sein können, als Dichter. Praktisch-tüchtige Menschen werden sie nie. Der poetische Geist findet die Poesie und nimmt sie in sich auf, er ist subjectiv und objectiv; das poetische Gemüth kann nicht aus sich heraus, es trägt seine Poesie über und kann darum nur subjektiv sein; es hat wenig poetische Gedanken, aber es ist reich an poetischen ühlen.

    ähnt, die Dankbarkeit „die Erinnerung des Herzens“ nannte und wenn Andrei Turgenief vom Jenseit sagt: „dort sei kein Glaube mehr nöthig und dort finde keine Hoffnung mehr Statt“, so sind dies poetische Gedanken, welche Batuschkoff — ich bin fest davon überzeugt — trotz ihrer Einfachheit nimmermehr hätte haben können. Die Gedankenarmuth ist bei ihm so gross und der Bilderreichthum so vorherrschend, dass man bisweilen in ein und demselben Gedicht einen und denselben Gedanken mit drei, ja vier verschiedenen Bildern kurz hinter einander wiederkehren sieht. Ich beziehe mich hier beispielsweise auf das in jeder Hinsicht äusserst charakteristische elegische Gedicht „Der sterbende Tasso“ und verweise in diesem wiederum auf Tassos Klagrede. Aber auch in seinen prosaischen Schriften, so weit ich sie kenne, fand ich diese Ansicht bestätigt. Die innige Empfindung und die rege Einbildungskraft, die sie belebt, macht sie zu einer angenehmen Lektüre, aber Belehrung gewähren sie nicht. Die Gedanken, welche sie enthalten, erscheinen nicht als Ergebnisse eines fortgesetzten ruhigen Nachdenkens, sondern als ursprüngliche Gefühle, welche der Verfasser in sich zum Bewusstsein zu bringen sucht und die er dann zu Gedanken verklärt; kurz es scheint als habe er mit dem Gemüth und mit der Einbildungskraft gedacht. Darum ist es auch nicht möglich den Inhalt seiner Aufsätze lange im Gedächtnis zu behalten und sich Rechenschaft über ihn zu geben. Gedichte wie „Des Freundes Schatten“ und noch einige Andere beweisen zngleich, mit welcher Lebhaftigkeit seine Phantasie sah, ja wie sie ihm schon sonst, wo sie noch vom Verstande in Schranken gehalten wurde, Erscheinungen vorzaubert.

    öchsten Maasstab der Kritik geltend gemacht werden kann. Ich rede hier als Arzt des Kranken in der Sprache der Wissenschaft; darum ist mir Strenge erlaubt, wenn ich wahr und gerecht bin. — Da nun solche Naturen rein-subjektiv oder immer nur sie selbst sind, so gerathen sie mit der Welt sehr leicht in Zwiespalt; man kann mit ihnen selige Stunden geniessen, wenn man es versteht, in ihren Kreis zu treten und sich ihnen anzubequemen, aber man kann nicht eigentlich lange mit ihnen enge zusammen leben, wenn man ihnen nicht die eigene Persönlichkeit zum Opfer bringt. Ihr überzartes Gefühl, ihre lebendige Einbildungskraft und ihre strenge Eigenthümlichkeit macht sie überaus reizbar und verletzlich, und lässt sie in den unschuldigsten Dingen feindliche Gegensätze finden, die sie in ihrem Inneren nicht zu versöhnen wissen. Alles was sie trifft, trifft gleich unmittelbar den ganzen Menschen in seinem tiefsten Wesen und nichts findet im Verstande einen besonnenen Gegenhalt. Der Mangel an innerer Einheit gibt sich überall im poetischen Leben kund. Sie sind nach Umständen bald überaus fleissig, bald überaus träge, sie sind beständig das Spiel äusserer Zufälligkeiten und ihrer eigenen immer verschiedenen Launen. Mit Kleinigkeiten, mit wahren Spielereien, auf welche der ernste praktische Mann nicht gern eine Minute verwendet, können sie sich ganze Stunden beschäftigen. In Bezug auf ihr Selbst sind sie fast beständig im Irrthum befangen, bald überschätzen sie das Maas ihrer Kräfte, bald verzweifeln sie an aller Selbstkraft; deprimirende nnd excistirende Affecte wechseln bei ihnen schnell; beide sind ihnen verderblich und dennoch sind sie fast immer dem Uebermaas der einen oder der anderen Preis gegeben. Haltungslos, wie sie sind, können sie nie einen festen Standpunkt in der Welt gewinnen, denn sie stehen ausser ihr. Zeit und Raum verlieren zuletzt ihren wahren Gehalt für sie; sie leben dann nicht mehr in der Gegenwart, nicht mehr an dem Orte, an dem sie sind, sondern in der Zukunft, in der Ferne. Ewige Unruhe, rastlose Sehnsucht treibt sie immer dahin, wo der Himmel auf der Erde zu liegen scheint, und darum erreicht ihr krankes Streben nie ein Ziel. Wo sie sich hinretten, bringen sie ihre eigene selbstgeschaffene Welt mit sich, die nirgends in die wirklich bestehende sich einfügt. „Die Welt ist vollkommen überall, wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Quaal“, wie Schiller sagt; aber sie bürden ihr in ihrer Verirrung alle die Leiden auf, die in ihnen selbst ihren Grund haben. Batuschkoff fühlte sich immer unglücklich und in seinem ganzen Leben findet sich nicht ein einziger Unglücksfall, der einen fest gegründeten Mann irre machen könnte. Ist irgend eine geistige Organisation zur gänzlichen Aufhebung aller Ordnung in ihren gesetzlichen Verrichtungen geneigt, so ist es eine solche, denn kein Seelenvermögen misbraucht die ihm verstattete Herrschaft mehr zum traurigsten und gewaltigsten Despotismus, als die Einbildungskraft. Gekränkter Ehrgeiz, verschmähte Liebe, kurz alle Leidenschaften solcher Naturen, welche ihre Reizbarkeit fast zu eben so vielen Krankheiten macht, werden die Gelegenheitsursache zur Beschleunigung der traurigen Krise. Die gequälte Seele, die sich überall verwundet und zurückgestossen fühlt, zieht sich immer mehr von allem Aeusseren zurück in sich selbst, d. h., sie begiebt sich nun ohne Gegenwehr in die Hände ihres eigentlichen Feindes, den sie für ihren einzigen noch übrig gebliebenen Freund hält und der nun eben darum ungestört und rastlos an ihrer Zerstörung arbeiten kann. Stundenlang kann nun der Kranke, denn das ist er dann schon, in müssiger Ruhe die Fingerspitzen betrachten und sich dem gedankenlosen Spiel und der schrecklichen Willkür der Einbildungskraft überlassen. Es tritt bald eine nothwendige Entwickelungsperiode ein, die freilich eine grässliche Rückbildung wird, deren Keim aber schon bei der Geburt vorhanden war und nur günstiger Umstände bedurfte, um aufzuwuchern. Tasso, der noch jetzt wie ein Heiliger von Batuschkoff verehrt wird, ging ohne Zweifel ganz denselben Weg zum Verderben — Petrarka dagegen, behauptete sich trotz der heftigen Seelenstürme, denen ihn die Glut seiner Leidenschaft Preis gab, fn Besitz seiner geistigen Fähigkeit; denn so, wie er, liebt und dichtet das blosse Gefühl und die blosse Einbildungskraft nicht. Wenn bei religiösen Schwärmern und Schwärmerinnen, welche ebenfalls in diese Kategorie gehören, die Krankheit nicht immer zur vollen Reife gedeiht, so hat dies wohl hauptsächlich darin seinen Grund, dass ihre geistige Thätigkeit eine praktische Richtung nimmt, dass sie ein Ziel hat und nicht feindlich gegen sich selbst gekehrt ist.

    ätere Form der Krankheit. Wie der Kranke erst mit der Einbildungskraft spielte, so spielt sie nun mit ihm, er hört Stimmen, er sieht Erscheinungen, er glaubt sich von allen Seiten beobachtet und verfolgt u. s. w.

    ässt, in allen Fällen von Seelenstörung wird die Krankheit durch gleichzeitige wirkende körperliche Ursachen mit erzeugt und unterhalten. Auch in dem Falle, von welchem hier vorzugsweise die Rede ist, fehlen sie nicht. Es ist nämlich mehr als wahrscheinlich, dass Hämorrhoiden und Gicht, welche häufig schon allein und für sich den hartnäckigsten Seelenstörungen zur Grundlage dienen, auch hier ihr geheimes Spiel treiben. Die nächsten Vorfahren unseres Kranken in männlicher Linie haben alle an der heftigsten Gicht gelitten, er selbst hat früherhin die Vorboten derselben schon gefühlt und öfterer geäussert, dass er ihren Leiden nicht entgehen würde. Personen, denen die Gicht angeerbt ist, leiden an einer Reihe mannichfaltiger, oft sehr versteckten Krankheiten, welche gewöhnlich nicht eher gehoben werden, als bis die Gicht regelmässig eintritt, und das ist ganz in der Ordnung, dass sie im blühenden Alter schon mit Hypochondrie anfangen und dass sich Neigung zu Rheumatismen und Hämorrhoiden beigesellt. Es ist möglich, dass auch die Krätze, mit welcher unser Kranker kurz nach der Schlacht bei Leipzig behaftet war und von welcher er auf sein eigenes Verlangen schnell befreit wurde, wesentlichen Antheil an der spateren Ausbildung der Seelenstörung hatte, obschon sich unmittelbar darauf keine wahrnehmbaren üblen Folgen äusserten. In einem Körper, in welchem irgend eine angeborene oder erst erworbene Krankheitsanlage im Keime schläft, können selbst geringe alte Krankheitsreste späterhin die grösste Bedeutung gewinnen. Ueber die Natur des Gesichtsschmerzes, an welchem der Kranke noch zur Zeit seiner geistigen Freiheit lange gelitten, habe ich leider nichts Sicheres erfahren können; es ist indessen wahrscheinlich, dass er schon ein Vorbote oder vielmehr eine Art von symptomatischer Krankheit war, deren Ursachen in dem grösseren Krankheitsherd des Unterleibs verborgen lagen. Darf man ihn auch gerade nicht hoch in Anschlag bringen, so beweist er doch wenigstens, welche Neigung schon sonst bei ihm die krankhaften Stoffe hatten, ihre Richtung nach dem Kopfe zu nehmen. Die Hämorrhoiden sind zufolge meiner sorgfälig eingezogenen Erkundigungen nur ein einziges Mal bei ihm auf dem Sonnenstein geflossen Ihre Bestrebungen müssen sich indessen sehr deutlich ausgesprochen haben, da der Kranke selbst, der doch sonst fast alle seine Leiden äusseren Gründen und eingebildeten Mishandlungen zuschrieb, einige Mal ihre Natur nicht verkannte. Es ist bekannt, dass unterdrückte oder nicht gehörig von Statten gegangene Hämorrhoiden, Ohrenbrausen, Fehler im Gesicht, Herzpochen, Verwirrung, Ziehen in den Beinen, Mattigkeit u. s. w. zur Folge haben, dass sie nicht allem häufig mit der Gicht verbunden sind, sondern mit deren Anfällen regelmässig abwechseln. Die krankhaften körperlichen Gefühle fliessen bei ihm auf das Innigste mit der krankhaften Seelenthätigkeit zusammen; diese giebt den Täuschungen des Gesichts die Formen eingebildeter Feinde, dem Brausen des Ohres die Stimme derselben u. s. w., daher ferner die Klagen, dass man ihm den Kopf und die Augen verbrenne und elektrisire, dass man ihm die Beine zerschlage, dass man ihm Ohrfeigen gebe, die Nase und den Mund vergifte u. s. w. Sonst hinkt er auch bisweilen und rieb sich die Schenkel mit der Hand. Die Nase, wie schon erwähnt, röthet sich leicht, und immer desto mehr, je mürrischer seine Stimmung ist; ein Zeichen, das bei anthritisch hämorrhoidalischen Komplikationen gewöhnlich vorhanden ist. Daher tritt ferner im Frühjahr und Herbst Verschlimmerung der Zufälle ein, und man irrte vielleicht nicht, wenn man auch die melancholische Stimmung, welche ihn, wie man mir sagt, schon sonst immer mit dem Eintritt des Frühlings beherrschte, als eine Wirkung der sich regenden und nach Entwickelung strebenden gichtischen Anlage betrachtete. Kurz es finden sich eine Menge Symptome, welche für diese Ansicht sprechen, und nicht ein einziges, welches wahrhaft dagegen zeugte. Somit leidet es nun wol auch kaum noch einen Zweifel, dass die heftigen Stürme, welche der Kranke in den ersten Tagen unserer Reise, wie oben erwähnt, zu bestehen hatte, hämorrhoidalischer Natur waren und dass die Schmerzen, welche seine Mienen und Gebärden bei jeder Veränderung im Sitzen und Liegen zu erkennen gaben, von Hämorrhoidalknoten herrührten, welche heftiges und jählinges Stechen bei der Bewegung der betreffenden Theile veranlassen.

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    ünstigen und ungünstigen Symptome, welche diese Krankheitsform zusammensetzen, hier vergleichend mit einander abwägen, um zu entscheiden, ob Heilung möglich und wahrscheinlich sei oder nicht, stützt sich obige Entwickelung der ursächlichen Bedingungen nicht auf unstatthafte Voraussetzungen — und ich glaube das nicht, da sie von ihren Thatsachen ausgeht — so ergiebt sich schon aus ihnen allein hinlänglich, dass diese gebundene Seele nur von dem Allbefreier ihrer Fesseln entledigt werden könne, der die dichterischen Träume ihrer Einbildungskraft verwirklicht und sie in das Land führet, wo, wie Turgeniew sagt, die Hoffnung nicht mehr Statt hat. Fühlte doch der unglückliche Sänger die Krankheit lange vorher, ehe sie kam, und konnte sie nicht aufhalten in ihrem Entwickelungsgange. Sie ist nun da, vollkommeu ausgebildet, mit allen ihren Schrecken, seit Jahren schon, und er ist nun so Eins mit ihr geworden, dass er sich auf das hartnäckigste jeder Maasregel widersetzt, welche die Bekämpfung derselben bezweckt und nun soll sie die Kunst haben! Die Krankheit ist in der That schon lange über den Punkt hinaus, wo Heilung noch möglich und denkbar, ich will nicht sagen, wahrscheinlich war, denn wahrscheinlich war sie vom ersten Anfange nicht. Besserung indessen könnte wol mit der Zeit eintreten, in dem Falle nämlich, das die vis naturae medicatricis selbst heilsame Bestrebungen machte, die Hämorrhoiden zu regelmässigen Flüssen brächte und so die gichtischen Reste an äusseren Theilen ablagerte. Zu fürchten ist freilich, dass schon organische Veränderungen Statt gefunden haben, die sich nicht mehr ausgleichen lassen. So schlimm aber auch die Krankheit an sich schon ist, es ist immer noch Verschlimmerung möglich: es kann noch Epilepsie hinzutreten. Das krampfhafte Ungestüm, das seinen ganzen Körper in vibrirender Bewegung rüttelt, so oft er in heftige Wuth geräth, lässt das Schlimmste befürchten. Das verhüte der grosse Gott! Gesetzt aber auch, es würde durch einen Verein unvorhergesehener günstiger Umstände wider alles Erwarten allmälig Heilung herbeigeführt, gesetzt dieser mir durchaus undenkbare Fall träte wirklich ein, lässt sich wol glauben, dass ein Mann, der unter den günstigsten äusseren Verhältnissen lebte, der sich von seinem Vaterlande geehrt, von Freunden nnud Verwandten geliebt wusste, der sich eine ruhmvolle Laufbahn mit glänzenden Aussichten für die Zukunft eröffnet sah, kurz ein Mann, welcher Alles hatte, was das Leben erheitert und angenehm macht, und der trotz Allem dem sich beständig unglücklich fühlte und das Leben nicht ertragen konnte, lässt sich wol glauben, sag’ ich, dass derselbe Mann dasselbe Leben unter weit ungünstigeren äusseren Verhältnissen ruhig ertragen, dass er die Welt in ihrem einfachen, aber erhabenen Gehalt mit klarer Besonnenheit auffassen, seine übertriebenen Ansprüche an dieselbe fügsam herabstimmen, ja dass er selbst den nagenden Schmerz des Gedankens einer vieljährigen Beraubung aller geistigen Freiheit und Selbsbestimmungsfähigkeit mit heldenmüthiger Stärke bezwingen werde? oder ist es nicht vielmehr wahrscheinlich, dass bald ein schrecklicher Rückfall kommen oder dass er selbst vor dem völligen Ausbruche desselben seinem jammervollen irdischen Dasein gewaltsam ein Ende machen werde? Er ist der Welt fremd; wer ihn nicht gesünder macht, als er in seinen gesunden Tagen war, der heilt ihn nicht. Was bleibt übrig? Der Arzt muss oft als Menschenfreund wünschen, was er als Arzt verhindern soll.

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    Über die Wahl der Arzneimittel, deren Anwendung diese Krankheitsform verlangt, könnte zufolge der in den ursächlichen Bedingungenen enthaltenen Indikationen wol eben kein Streit Statt finden. Der Schwefel würde die erste Stelle einnehmen, sanft auflösende Extrakte, gelinde Mittelsalze u. s. w. u. s. w. würden sich ihm anschliessen müssen. Allein die ausserordentliche Heftigkeit und Reizbarkeit des Kranken, die ihn bisweilen ohne alle äussere Anlässe zu den ungestümsten Zornausbrüchen hinreisst und den aufrichtigsten Beweisen der Theilnahme und Liebe immer feindliche Deutung gibt, macht es durchaus unrathsam zu einer rein-medizinischen Kur zu schreiten. Sie würde sich nicht ohne Gewaltmittel in Ausführung bringen lassen und durch den Gebrauch derselben würde man ihm weit mehr schaden, als man ihm durch die zweckmässigsten Arzeneien, auch wenn sie allen Indikationen entsprächen, nutzen könnte. Ich habe mich deshalb genöthigt gesehen, meine ganze Behandlung auf die direkt- und indirekt- psychische Kur zu beschränken.

    önnte auf die Meinung kommen, dass in dieser Krankheitsform ein beständiger oder häufiger Wechsel der äusseren Umgebungen die vortheilhafteste Wirkung haben müsse, indem dadurch die krankhafte Thätigkeit der Seele auf etwas Wirkliches hingelenkt und von der Beschäftigung mit ihren Wahngebilden abgezogen werde. Allein die Periode, wo sich von äusserer Zerstreuung noch ein günstiger Erfolg erwarten liess, ist von der Krankheit schon längst überwunden und mit ihr ist eben auch die Periode der Möglichkeit eines glücklichen Ausgangs der Krankheit vorüber. Die Krankheit ist und bleibt unter allen Verhältnissen Siegerin. Sie tritt nicht hinüber in den Kreis der gesunden Wirklichkeit, der ihr etwa zur Beschäftigung vorgeführt und angeboten wird, sondern sie reisst mächtig Alles in ihr grässliches Gebiet und grössere geistige Verwirrung und mit dieser auch grössere Aufgeregtheit ist die unausbleibliche Folge. Davon hat mich die Erfahrung überzeugt. Unangenehme körperliche Gefühle, die sonst am kräftigsten die Seele aus ihrer Traumwelt reissen und eben darum oft als indirekt- psychische Heilmittel absichtlich hervorgerufen werden, bewirken hier nur eine noch stärkere geistige Reaktion und mit ihr natürlich auch Verschlimmerung. Um wie viel mehr muss aber nicht erst das nachtheilig wirken, was unmittelbar den Geist trifft. Man könnte den Zustand der Einbildungskraft mit einer Entzündung vergleichen, deren Heftigkeit durch den geringsten äusseren Reiz gesteigert wird. So wie z. B. das entzündete Auge den Lichtreiz schaut, so fürchtet hier — man erlaube diesen materiellen Ausdruck — die entzündete Einbildungskraft jede Bereicherung ihrer Bilderwelt, wie etwas Schmerzerregendes. Darum liebt der Kranke die Einsamkeit, darum will er Niemanden sehen und sprechen, darum verlangt er unablässig Ruhe und scheut jeden Wechsel, darum duldet er nichts in seinem Zimmer, was er nicht braucht, nicht einmal ein Kleidungsstück. Und Ruhe ist es auch wirklich, was ihm vor Allem Noth thut; sie war ihm tödtliches Gift, als er noch gesund war oder dafür galt, und sie ist ihm nun bei völlig entwickelter Krankheit die grösste Wohlthat. Je seltener die Anfälle des Zornes und der Heftigkeit bei ihm gemacht werden, desto mehr ist überhaupt für seinen Zustand gewonnen; ja das ist fast das Einzige, was sich gewinnen lässt. Ich bin demnach bemüht gewesen, ihn so viel als möglich zu isoliren, ihn in eine ganz einförmige Lage ohne allen äusseren Wechsel zu versetzen, und Alles zu entfernen, was dazu beitragen könnte, seine Reizbarkeit zu erhöhen. Eine fremde Familie, die noch im Hause wohnte, wurde daraus entfernt; in der ganzen Wohnung, die in einer ziemlich einsamen Gegend am Ende der Stadt gelegen ist, herrscht beständig die grösste Ruhe und Stille. Er sieht nur Personen, die er zu sehen gewohnt ist, die Unterhaltung mit ihm wird auch von diesen sorgfältig vermieden, denn er führt immer allein das Wort und je mehr er spricht, desto heftiger wird er. Er geniesst volle Freiheit, im Gehöfte herumzugehen, wann und wie oft er will, und man macht es ihm nicht bemerklich, dass er unter Aufsicht steht. Seine Wünsche, welche immer fast einzig Lebensbedürfnisse betreffen, werden ihm sogleich befriedigt. Durch dieses einfache Verfahren ist es allerdings gelungen seinen Zustand um vieles zu bessern; daran hat indessen wol auch seine einfache Kost wesentlichen Antheil. Die Klagen über Kopfschmerzen, die er sonst fast täglich wiederholte, haben ganz aufgehört; ebenso die Klagen über üblen Geruch, über Augenweh u. s. w. Es vergehen bisweilen ganze Wochen, wo er in seiner Stube nicht laut mit sich oder vielmehr mit den Personen spricht, die er anwesend glaubt. Auf dem Sonnenstein verliess er oft in der Nacht sein Lager und tobte heftig in seiner Stube. Jetzt ist sein Schlaf durchaus ruhig und erquickend, und das ist wegen des grossen Einflusses, welchen die Träume auf sein krankes Seelenleben haben, ein wichtiger Umstand, die eigentliche Geisteskrankheit besteht freilich noch ganz in ihrer intensiven Stärke. Und gelänge es auch der rastlos thätigen Einbildungskraft äusserlich allen Stoff zu krankhaften Schöpfungen zu entziehen, sie weiss ihn erfinderisch in sich selbst zu erzeugen und auszubilden. Das erste und unerlässliche Bedingnis einer wesentlichen Besserung ist und bleibt Beschäftigung; aber was für Beschäftigung? Dass ein solcher Kranker nicht im Stande ist em Buch zu verstehen, eine allmälige Gedankenentwickelung oder den fortlaufenden Faden einer Erzählung zu verfolgen, brauch’ ich nicht erst zu sagen. Der Wechsel der schönen Gegenden auf dem ersten Theile unserer Reise beschäftigte den Kranken zwar auf eine ihm angenehme Weise, aber er machte ihn kränker und verwirrte ihn noch mehr; denn er gab der Einbildungskraft neue Nahrung von aussen. Sie aber, die schon übernährte, bedarf vielmehr einer Ableitung nach aussen oder, um das deutlicher zu sagen, ihre Fülle muss sich in irgend einer äftigung entladen, z. B. im Zeichnen, im Malen u. s. w. Es hat nicht an Aufforderungen zu solchen Beschäftigungen gefehlt; sie sind aber bisher ohne allen Erfolg geblieben. Auf dem Sonnenstein zeichnete er einmal aus eigenem Antrieb eine Zeit lang mit musterhaftem, ja mit übertriebenem Fleisse; er versäumte dabei die ihm so nöthige körperliche Bewegung und endlich traten mancherlei Blutsbeschwerden ein, welche ihn zwangen, diese Beschäftigung abzubrechen. Wäre der Kranke nur einiger Maassen zugänglich, so könnte man vielleicht durch Vorzeigung einer zweckmässigen Auswahl von Kupferstichen und Gemälden seinen Kunstsinn wecken, der Einbildungskraft eine bestimmte Richtung geben und dadurch mittelbar dem Verstande einige Gedanken zuführen. Denn die Despotie der Einbildungskraft beruht in der That nicht sowohl auf ihrer eigenen Stärke, als vielmehr, wie fast jede tyrannische Herrschaft, auf der Schwäche der gegenwirkenden mitkonstituirenden Kräfte. Man müsste daher gleichzeitig jene schwächen und diese stärken. Eine zweckmässige somatische Behandlung müsste die psychische unterstützen. Pia vota!

    üthe zu erzeugen und ihn sanfteren Gefühlen zugänglich zu machen, sind zwei Versuche mit Musik angestellt worden. Ueber den ersten, der auf meinem Pianoforte in einem entfernteren Zimmer ausgeführt wurde, äusserte er sich misbilligend, ohne jedoch heftig zu werden. Der zweite bestand in Vokalmusik ohne Instrumentalbegleitung; es wurden von einem Chore von 9 Personen einige Kirchenstücke abgesungen, weil der Kranke jetzt nur für religiöse Gefühle empfänglich ist. Da ich wünschte, dass er die Worte verstehen möchte, und da er nicht Ruhe und Sammlung genug hat, einen zusammenhängenden Text zu fassen, so wurden auf meinen Rath Gesänge gewählt, die ihm bekannt sein mussten und in denen immer dieselben Worte wiederkehrten, wie das bekannte Господи помилуй, und dgl. Der Kranke blieb ruhig auf dem Kanapee liegen und richtete lauschend das Gesicht nach der Seite hin, von der die Töne herkamen; weder damals, noch später erwähnte er dieses Versuchs mit einem Worte, da er sich doch sonst über alles ausspricht, was ihn nur einiger Maassen unangenehm berührt. Ein billigendes oder ein lobendes Urtheil kommt nie jetzt aus seinem Munde. Ich betrachte daher den Versuch als gelungen und würde ihn wiederholt haben, wenn der Ausführung nicht mancherlei äussere Hindernisse im Wege ständen. Tieferen Eindruck würde ohne Zweifel eine Harmonika machen, die mir leider nicht zu Gebote steht. Da windiges Wetter keinen guten Einfluss auf den Kranken ausübt, so habe ich die Absicht, um vielleicht seine Wirkung zu schwächen, eine Äolshorfe im ebenen Theile des Hauses aufzustellen. Vielleicht thut der Wind gleichzeitig etwas Gutes. Kleinigkeiten regen den Kranken auf und Kleinigkeiten beruhigen ihn zuweilen.

       

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